World Wide Web

Vorreiter der universalen Kommunikation

Die Elementarteilchenphysik in ihrer heutigen Form wäre ohne den massiven Einsatz leistungsfähiger Computer nicht denkbar. Den Bedürfnissen der großen internationalen Kollaborationen an den Beschleuniger-Experimenten wird dabei durch eine hochgradige Vernetzung der von den Kollaboranten betriebenen Einzel-Computer Rechnung getragen. Von besonderer Bedeutung für den Kontakt der Kollaborationsmitglieder untereinander, aber auch nach außen hin zu anderen Wissenschaftlern, war schon früh die Möglichkeit der Kommunikation durch die Medien der elektronischen Post und der elektronisch vermittelten Diskussionsforen. Auf diese Weise förderten schon seit den sechziger Jahren die über den Computer laufenden Nachrichten und Diskussionen den wissenschaftlichen Fortschritt in der Physik und in den anderen Naturwissenschaften. Die internationale Kollaboration in der Elementarteilchenphysik hat ihrem natürlichen Bedarf folgend schon sehr früh jede Möglichkeit der Weitverkehrsvernetzung von Computern genutzt. Das Internet hat dabei heute aufgrund seiner herstellerunabhängigen, weltweiten Verfügbarkeit die führende Rolle übernommen.

In den letzten Jahren ist nun das Internet in den Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit gerückt. Hierfür war in herausragender Weise die Einführung des World Wide Web, auch WWW oder W3 genannt, verantwortlich. Das WWW ist ein Informationssystem, das im Gegensatz zu den älteren Diensten e-mail oder network news nicht nur Texte, sondern auch Bilder, Klänge und Bildsequenzen übertragen und darstellen kann. Darüber hinaus ist es sehr einfach zu bedienen und daher auch für Laien ohne Vorkenntnisse im Computerbereich einsetzbar. Die Grundlage des WWW bildet ein Hypertext-Übertragungsprotokoll namens HTTP, das es erlaubt, durch einfaches Klicken mit einem Mauszeiger auf ein Stichwort im dargestellten Text ein weiteres Dokument anzufordern, das auf einem beliebigen Rechner im Internet abgelegt wurde. Zu diesem Zweck sind die Dokumente in einer Hypertextsprache (HTML) abgefaßt, die außer dem eigentlichen Text die Querverweise, sowie die Definition des Seiten-Layout enthält. Die Dokumente und Graphiken werden dabei von einem HTTP-Server bereitgestellt. Bei diesem Server handelt es sich um ein Programm, das auf einem im Netz eingebundenen Rechner läuft. Es empfängt die Anfragen des Benutzers, bearbeitet sie und sendet gegebenenfalls die gewünschte Information an ihn zurück.

Das WWW wurde im Jahre 1989 von Tim Berners-Lee initiiert, der zu diesem Zeitpunkt am Europäischen Teilchenphysik-Forschungszentrum CERN beschäftigt war. In den folgenden Jahren wurde das Projekt von einer immer größer werdenden Zahl von Mitarbeitern unter Leitung des CERN weiterentwickelt. Im Oktober 1993 waren schon insgesamt mehr als 200 HTTP-Server im Einsatz. Diese Zahl hat sich seitdem lawinenartig erhöht; im April 1995 existierten weltweit bereits weit über 20 000 Server. Um die weitere Entwicklung des World Wide Web zu koordinieren und zukünftige Standards festzulegen, wurde das W3 Consortium ins Leben gerufen. Diese Organisation steht unter der Leitung des Laboratory for Computer Science am Massachusetts Institute of Technology und dem französischen Informatik-Forschungszentrum INRIA und arbeitet eng mit dem CERN als Begründer des WWW zusammen.

Die Eignung des WWW, insbesondere für die zukünftige Kommunikation zwischen Physikern, wurde an der RWTH Aachen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt erkannt. Auf der Seite der Physikalischen Institute wurde bereits im August 1993 ein HTTP-Server von den Doktoranden Thomas Fricke, Andreas Kaser und Christoph Ley in enger Zusammenarbeit mit Dr. rer.nat. Rolf Steinberg, dem Leiter des Rechenzentrums der Physikalischen Institute, eingerichtet. Dieser Server der Aachener Physik war und ist einer der ersten zehn HTTP-Server in Deutschland. In der Zwischenzeit haben viele weitere Institute der RWTH nachgezogen und ebenfalls eigene Server installiert. Das alles wurde durch die wertvolle Unterstützung des RWTH-Rechenzentrums und des Fachbereichs für Informatik bei der Einrichtung und Pflege der technischen Infrastruktur und der Bereitstellung von Mitteln für die jeweils aktuelle bestmögliche Netzwerkanbindung ermöglicht. Besonders Univ.-Prof. Dr.rer.nat. Dieter Haupt (Leiter des RWTH-Rechenzentrums und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Forschungsnetzes) und Dipl.-Ing. Gert Schellbach-Mattay vom RWTH-Rechenzentrum gebührt dafür der Dank der Physiker.

Die Bedeutung des WWW für die gegenwärtige Kommunikation der Teilchenphysiker untereinander kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Ankündigung von Terminen aller Art, Auflistung technischer Informationen zu den Detektoren, Bereitstellung von Vorabdrucken der Veröffentlichungen, Protokollen von Versammlungen, Adressenlisten und vieles mehr gehören hierzu. Am Beispiel der Vorabdrucke läßt sich der Einfluß des World Wide Web auf die täglichen Arbeitsabläufe besonders verdeutlichen: eine wissenschaftliche Veröffentlichung eines Physikers oder einer Kollaboration erscheint in der Regel erst mehrere Monate nach ihrer Fertigstellung in einer entsprechenden Fachzeitschrift und ist dann in den Universitätsbibliotheken verfügbar. Im WWW können Vorabdrucke von Veröffentlichungen jedoch schon unmittelbar nach ihrer Abfassung zugänglich gemacht werden. Von diesem Zeitpunkt an kann weltweit jeder Interessierte auf den Artikel zugreifen. Für das Auffinden von Aufsätzen zu bestimmten Themen, von vorgegebenen Autoren et cetera sorgen als WWW-Server implementierte Literatur-Datenbanken. Diese Form der elektronischen Vorveröffentlichung von Publikationen hat sich nicht nur in der Physik durchgesetzt, sondern auch in anderen Natur- und Ingenieurwissenschaften, insbesondere in der Informatik. Sie wird aller Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren an Bedeutung zunehmen und dadurch den bislang etablierten Markt der Fachzeitschriften erheblich beeinflussen.

In den letzten beiden Jahren ist in immer stärkerem Maße eine Nutzung des World Wide Web durch gewerbliche Unternehmen zu beobachten, welche die Vorteile des WWW als Sammelstelle und Umschlagplatz für Informationen aller Art erkannt haben und für ihre Zwecke einsetzen wollen. Zahlreiche privatwirtschaftliche Unternehmen haben das WWW als Medium zur Präsentation ihrer Produkte entdeckt und bieten vielfach den Service an, über das Internet Waren zu bestellen. Die Zahlung erfolgt noch über Kreditkarten, in Zukunft jedoch voraussichtlich mehr und mehr über zu diesem Zweck neu geschaffene Zahlungswege ("virtual cash"). Der Kommerzialisierungstrend wird sich zweifellos in den nächsten Jahren fortsetzen, was eine partielle Neustrukturierung des Datennetzes erforderlich machen wird. So sind sowohl höhere Bandbreiten zur Verbesserung der Übertragungskapazitäten vonnöten als auch die Entwicklung wirksamer Schutzmechanismen, um Mißbrauch zu verhindern. Die Relevanz solcher Sicherheitsmaßnahmen wird schon am Beispiel der Zahlung mittels Kreditkarten deutlich, wo eine unkontrollierte Verbreitung der Kartennummer nicht im Interesse des Kunden sein kann.

Generell wird es nicht einfach sein, die erkennbaren Nachteile des heutigen Systems, zum Beispiel die einfachen Möglichkeiten vorgetäuschter, falscher oder desorientierender Information, in diesem bisher noch wenig geregelten Netz auszuschließen. Information kann selbstredend hier zum Guten wie zum Schlechten benutzt werden. Man denke auch daran, daß es ohne großen Aufwand möglich ist, durch Betreiben falscher Router und doppelter Adressen eine ganze Netzlandschaft umzukrempeln und jede denkbare Art von Scheinwelt entstehen zu lassen. Trotzdem werden natürlich die Vorzüge der freien Verfügbarkeit von nahezu beliebigen Mengen und Arten von Informationen die Ausbildung und Weiterentwicklung dieses Systems vorantreiben.

So besteht eine weitere Anwendung des Hypertext-Prinzips, auf dem das WWW basiert, in der Implementation von firmeninternen Dokumentationen und Richtlinien in Form von internen WWW-Servern. Auf diese Weise können den Mitarbeitern schnell und bedienungsfreundlich Handbücher und Ähnliches zugänglich gemacht werden. Im allgemeinen ist ein ungeschützter Zugriff Unbefugter auf die internen HTML-Seiten noch mit einfachen Mitteln auszuschließen, selbst dann, wenn zum Beispiel das firmeneigene lokale Netzwerk eine Internet-Anbindung besitzt. Aber auch hier ist natürlich die Zukunft offen, und Prognosen haben kurze Beine.

Einen nicht geringen Anteil an den millionen weltweit verfügbaren HTML-Seiten haben auch nicht-kommerzielle, im wesentlichen der Unterhaltung und/oder Bildung dienende Informationen. Dieses Angebot umfaßt unter anderem Dokumente zu Themen oder Personen aus Kultur, Politik, Sport, Religion und Wissenschaft. Beispiele sind Termine für Konzerte und Kinovorführungen, Ergebnisdienste für Sportereignisse, Online-Versionen der Bibel und vieles mehr. Das Angebot an Informationen im WWW ist bereits heute nahezu unüberschaubar. Dies und die in Ausnahmefällen mißbräuchliche Nutzung des Netzes hat in einigen Staaten die Diskussion über gesetzliche Regelungen des Datenverkehrs entfacht. Kritiker solcher Maßnahmen sorgen sich vor allem um die Rede- und Meinungsfreiheit, die bislang im Internet in herausragender Weise bestand.

Der ständig wachsende Bedarf nach Übertragungskapazität stellt eine weitere Herausforderung für die Zukunft des Internets dar. Für die Telekommunikationsgesellschaften ist dadurch gleichzeitig ein Anreiz zur Entwicklung neuer Technologien auf dem Netzwerksektor geschaffen.

In den wenigen Jahren seines Bestehens hat das World Wide Web die Arbeitsabläufe von Physikern und anderen Wissenschaftlern nachhaltig beeinflußt. In ähnlichem Maße öffnete sich das bis dahin vorwiegend akademischen Kreisen vorbehaltene Internet breiten Schichten der Bevölkerung. Diese völlig neuen Kommunikationsmöglichkeiten werden in Zukunft noch verstärkt das soziale Verhalten vieler Menschen verändern. Man darf gespannt sein, wie die weitere Entwicklung des World Wide Web verlaufen wird. Prognosen hierüber müssen als spekulativ gelten und werden von der augenblicklich herrschenden "Internet-Euphorie" getragen. Auf der anderen Seite hätte noch vor wenigen Jahren wohl niemand der in der Pionierzeit am WWW Beteiligten den schnellen Siegeszug dieses Mediums vorherzusagen gewagt.


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Author:Peter Uelkes
Last modified: Wed Aug 1 18:48:23 CEST 2001